Das E-Rezept: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

In vielen Bereichen des täglichen Lebens hat die Digitalisierung längst alteingesessene Abläufe und Prozesse ersetzt. Zum Beispiel bei Banküberweisungen. Füllen Sie noch Überweisungsbelege händisch aus und bringen diese zur Bank? Die meisten Menschen dürften längst die komfortablen Möglichkeiten des Online-Bankings nutzen. Bestellvorgänge, der Versand von Rechnungen und auch sonstige „Formulartätigkeiten“ – so gut wie alles, was früher nur über den Papierweg möglich war, geht heute digital. Selbst Versicherungspolicen können online abgeschlossen werden.

Nur im Gesundheitswesen, zum Beispiel bei Arztrezepten für Medikamente, herrscht noch eine Zettelwirtschaft. Damit sollte eigentlich ab dem 1. Januar 2022 Schluss sein. Das E-Rezept sollte flächendeckend in Deutschland eingeführt werden. Daraus wurde nun aber nichts. Die Einführung des E-Rezepts wurde aufgrund von „nicht unerheblichen Problemen in der Umsetzung“ verschoben. Dies teilte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kurz vor den Weihnachtsfeiertagen mit. Laut Ministerium stehen „die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung“.

Dämpfer für die Pioniere

Für Online-Apotheken ist dies vorerst ein herber Rückschlag. Sie haben durch die Umstellung auf des E-Rezept einen ordentlichen Schub für ihr Geschäftsmodell erwartet. Eines dieser Unternehmen ist die Schweizer Zur Rose-Gruppe, zu der auch DocMorris gehört. Das Unternehmen wirkte sogar selbst über seine IT-Tochter eHealthTec an den Prozessen zur Einführung des E-Rezepts in Deutschland mit.

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Bei Zur Rose und anderen Pionieren im Online-Medikamentenhandel liegt es also nicht. Viele Kliniken, Arztpraxen und Präsenzapotheken haben es noch nicht geschafft, sich technisch auf den Stand zu bringen, um sich dieser neuen Digitalisierungsstufe anschließen zu können.

Ist das E-Rezept damit gescheitert? Sieht man sich die Kursreaktion bei den Aktien der Online-Apotheken Zur Rose und Shop-Apotheke an, könnte man dies glatt meinen.

Überzogene Reaktion von Mr. Market?

Die Verzögerung bei der Einführung des E-Rezepts kurz vor den Weihnachtsfeiertagen sorgte in direkter Folge für Panik bei Investoren. Die Aktie der Zur Rose-Gruppe brach um mehr als 20 % ein. Der aktuelle Kurs der Aktie der Schweizer Zur Rose-Gruppe von 218 EUR (Stand: 07.01.2022) liegt weit unter dem Allzeithoch im Februar 2021 von 452 EUR. Übertreibt „Mr. Market“ mit seiner Reaktion?

Was Zur Rose (und auch andere Online-Apotheken) betrifft, steht die Infrastruktur für das E-Rezept längst. Die „nicht unerheblichen technischen Umsetzungsprobleme“, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach einräumte, liegen anderswo.

Von allen Online-Apotheken, die auf dem europäischen Markt vertreten sind, ist Zur Rose zudem am breitesten aufgestellt. Das Geschäftsmodell geht weit über den reinen Versandhandel mit Medikamenten hinaus. Die Firmengruppe ist auch im Bereich der Telemedizin engagiert und hat über seine deutsche Tochtergesellschaft die neuen digitalen Prozesse für das E-Rezept mitgestaltet.

Dazu gehört unter anderem Abrechnungs- und Verwaltungssoftware für Arztpraxen. Zudem entwickelte Zur Rose eine softwareübergreifende Schnittstelle, die es allen Arztpraxen, Apotheken und Kliniken ermöglicht, sich dem neuen E-Rezept-Prozess anzuschließen, egal welche Software sie bisher verwenden und ohne, dass sie diese wechseln müssen. Dennoch scheinen viele Leistungsträger im Gesundheitswesen damit noch überfordert.

Das mag teilweise auch der Pandemie geschuldet sein. Viele Kliniken und Arztpraxen arbeiten erneut seit Monaten an der Belastungsgrenze. Da bleibt keine Zeit und Kapazität für eine Systemumstellung. Mancher Präsenzapotheke wiederum mag die Verschiebung des E-Rezepts gerade recht kommen. Viele Apotheker befürchten eine Abwanderung ihrer Kunden hin zu den reinen Online-Anbietern. Dabei bringt das digitale Rezept viele Vorteile. Zudem ist eine Co-Existenz von traditionellen Präsenz- und neuen Online-Apotheken aus unserer Sicht sehr viel wahrscheinlicher.

Vor allem Patienten, die gerade von einer Arztkonsultation kommen, mit einem Rezept in der Tasche (egal ob in klassischer Papierform oder elektronisch auf dem Smartphone), werden höchstwahrscheinlich weiterhin die Apotheke aufsuchen, die sich in unmittelbarer Nähe zur Praxis befindet. Denn warum sollten sie ihr Medikament online bestellen, wenn sie es dort direkt mitnehmen können? Für chronisch Erkrankte, die regelmäßig die gleichen Medikamente benötigen, wäre es hingen sehr praktisch, wenn die Online-Bestellung mithilfe des E-Rezepts endlich erleichtert würde.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Auch nicht im Gesundheitswesen. Komplett gekippt werden könnte das E-Rezept in Deutschland nur durch eine Gesetzesänderung. Dies kann in niemandes Interesse sein. Die neue Regierungskoalition hatte sich während ihrer Konsolidierungsgespräche zudem grundsätzlich für eine schnellere Digitalisierung des Gesundheitswesens ausgesprochen – und dies explizit im Koalitionsvertrag verankert (nachzulesen unter dem Punkt „Digitalisierung im Gesundheitswesen “).

Der verpflichtende bundesweite Start der elektronischen Verordnung zum Jahresbeginn wurde zwar ausgesetzt, an den grundsätzlichen Plänen hat sich jedoch nichts geändert. Statt eines verpflichtenden Hauruck-Starts zu Jahresbeginn ist nun ein sukzessiver Roll-out geplant, sobald die Prozessketten stabil laufen. Die Einführung des E-Rezepts bleibt das Projekt des Jahres 2022. Der kontrollierte Test- und Pilotbetrieb wird schrittweise fortgesetzt und ausgeweitet.

In seinem Schreiben an die beteiligten Akteure betonte das Ministerium, dass „deutliche Verbesserungen in der Unterstützung und Verbindlichkeit der Testprozesse“ notwendig seien, „mit klaren Verantwortlichkeiten“ und einer „höheren Transparenz über den Projektfortschritt seitens aller Beteiligten“.

Einführung wohl noch in diesem Jahr

Trotz Verzögerung rechnet die Versandapotheke Zur Rose mit der Einführung des digitalen Rezepts in Deutschland in diesem Jahr. Man will „den maximalen Beitrag dazu leisten, dass die flächendeckende, verpflichtende Einführung zügig voranschreitet und umgesetzt wird“, so Unternehmenssprecherin Lisa Lüth.

Auch die mittelfristige Zielsetzung bleibt unterändert. Demnach visiert Zur Rose in drei bis fünf Jahren einen Umsatz von 4 Mrd. CHF an. Im vergangenen Jahr generierte das Unternehmen einen Umsatz in Höhe von 1,75 Mrd. CHF. In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 waren es 1,5 Mrd. CHF.

Wachstumsperspektiven auch ohne E-Rezept intakt

Ein mit dem E-Rezept erwarteter zusätzlicher Wachstumsschub mag bei Zur Rose jetzt erst einmal ausbleiben, solange aber das bisherige Umsatzwachstum nicht zum Erliegen kommt – und dafür gibt es derzeit keine Anzeichen – bleiben die Zukunftsaussichten für den Schweizer Zur Rose-Konzern weiterhin vielversprechend, auch wenn Investitionen vorerst noch auf die Gewinne drücken.

Als Nettoergebnis weist Zur Rose im ersten Halbjahr 2021 einen Verlust in Höhe von 77 Mio. CHF aus. Statt sich zu verringern, erhöhte sich der Fehlbetrag um rund 25 Mio. CHF. Auch das operative Ergebnis (EBIT) bleibt vorerst defizitär: Vor einem Jahr waren es –42,0 Mio. CHF, jetzt sind es –73,1 Mio. CHF. Uns macht der Verlustanstieg allerdings keine Sorgen. Dafür gibt es nämlich einen guten Grund: Investitionen. Im ersten Halbjahr investierte Zur Rose massiv in den Bereich des E-Rezepts und margenstarke Zukunftsthemen wie Telemedizin und PaaS (Platform as a Service).

Auch die Marketingausgaben wurden erhöht. DocMorris kristallisiert sich immer mehr als europäische Dachmarke des Konzerns heraus. Mit Blick auf die planmäßige Einführung des E-Rezepts zum Jahresbeginn 2022, startete DocMorris im Februar eine umfangreiche Werbekampagne (Slogan: „Das neue Gesund“). Insgesamt stiegen die Investitionsausgaben um 20 Mio. CHF – fast der Betrag, um den sich auch der Nettoverlust erhöhte.

Angesichts der zwar verzögerten, nichtsdestotrotz aber unaufhaltsamen Transformationsphase, in der sich das deutsche Gesundheitswesen befindet, ist dies nicht nur nachvollziehbar, sondern enorm wichtig. Nur wer jetzt sät, wird später auch ernten können.

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