Die Post-Corona-Herausforderungen für Online-Plattformen
+ aus der Praxis: Deshalb sollten Investoren den Principal-Agent-Konflikt ernst nehmen
Nein, heute geht es nicht um Wirecard. Über Markus Braun und seine Kapriolen mit asiatischen Banken werden Florian König, Alan Galecki, Pascal Andres und ich in unserem Podcast am kommenden Freitag detailliert sprechen. Dann wird sich der Staub etwas gelegt haben und wir können klarer sehen.
Wagen wir zunächst einen vorsichtigen Blick in die Glaskugel: Fidelity Investments hat einmal mehr die Volatilität des S&P 500 in den historischen Kontext gestellt. Ergebnis: Die Korrelation zur Finanzkrise 2008 ist recht ausgeprägt. Charttechniker gehen nun davon aus, dass wir in den kommenden Wochen stabile, sich seitwärts bewegende Märkte sehen werden…
In mehreren US-Bundesstaaten steigen die Covid-19-Infektionszahlen weiter, weshalb Mitarbeiter von Disney nun darum baten, die Wiedereröffnung der Freizeitparks weiter nach hinten zu verschieben. Mit Sicherheit wird es hier nicht nur zu einer Verschiebung der Umsätze innerhalb der einzelnen Sparten kommen. Auch die enormen Arbeitsplatzverluste weltweit, vor allem in den USA, reduzieren die Konsumbereitschaft der potenziellen Kundschaft. Das Problem betrifft nicht nur Disney. Doch dieser Konzern ist besonders anfällig. Schließlich brummt seine wichtigste Sparte nur dann richtig gut, wenn viel Personal eingesetzt wird. Entsprechend schwer wiegt dieser Kostenblock auch in Zeiten geringer Auslastung. Die kommenden Wochen und Monate werden also noch holprig für Mickey und Donald.
Landesweit sinken die Infektionszahlen auch in den USA. Die Sektflaschen werden vielerorts bereits aus dem Kühlschrank geholt. Etwas anderes als gute Nachrichten und gute Stimmung wollen viele Marktakteure aktuell nicht wahrnehmen. Wirecard außen vor, stehen alle Zeichen auf V. Die schnelle, V-förmige Erholung ist das, was nun die meisten sehen wollen. Die Menschen gehen wieder raus. Sie kaufen wieder ein. Es geht wieder los…
Doch wir sind keine Sentiment-Analysten.
Wir schauen auf Fundamentales.
Activision Blizzard hat als eine der „Bleib-zu-Hause-Aktien“ von der Corona-Zeit profitiert. Nach Hochrechnungen von Nielsen Super Data haben PC- und Konsolenspieler innerhalb von nur 80 Tagen 200 Mio. EUR in das Call-of-Duty-Franchise gepumpt – pro Tag 2,6 Mio. EUR nur durch Online-Transaktionen und physische Einkäufe direkt bei Activision Blizzard. Dies dürfte um einiges mehr sein, als World of Warcraft – seit Jahren verlässlicher Umsatzlieferant des Spiele-Publishers – in seiner Hochphase von 2008 bis 2011 geschafft hat. Auch mit dem Erfolg des Free-to-Play-Battle-Royale-Ablegers „Call of Duty – Warzone“ kann man bei Activision Blizzard zufrieden sein. Im ersten Monat nach Erscheinen haben sich bereits mehr als 50 Mio. Spieler auf den digitalen Schlachtfeldern bekämpft.
Heute wird es spannend für Amazon. Mit Extra-Rabatten soll die ohnehin exorbitante Marktmacht weiter ausgebaut werden. Zwar laufen die meisten Betriebe in China mittlerweile wieder wie gewohnt, aber das Problem hat sich verlagert: Das Angebot steigt wieder, doch die Nachfrage ändert sich. Einige Produktkategorien, wie Mode und Schuhe, erleben seit dem Beginn der Pandemie einen Rückgang, andere Kategorien wie Lebensmittel und Haushaltswaren, Home-Office-Ausstattung, Garten, Fitness oder der Unterhaltungssektor verzeichnen hingegen einen Anstieg der Verkäufe. Zum Teil liegt dies auch an weiterhin getätigten Hamsterkäufen. Die Kunden kaufen auf Vorrat und sie versuchen, ihr Home Office für den nächsten Lockdown zu präparieren. Dazu benötigen sie beispielsweise technische Ausrüstung für das Home Office, aber auch Fitnessgeräte.
Obwohl die Geschäfte in den Innenstädten wieder ihre Pforten öffnen, dürfte die Zurückhaltung der Kunden im stationären Handel noch anhalten. Viele Kunden werden den Gang ins Kaufhaus noch meiden aus Unsicherheit über die wirtschaftliche Gesamtlage und aufgrund von Bedenken bezüglich der weiterhin vorhandenen Infektionsgefahr. Die Verlagerung vom Offline-Handel hin zum Online Shopping wird noch anhalten.
Nicht zu verachten: Die vor einem Jahr eingeführte Visa-Kreditkarte ermöglicht es Amazon, noch sehr viele genauere Daten über seine Kundschaft zu sammeln. Zudem wird weiter an der Lock-in-Schraube gedreht: Die gesammelten Bonuspunkte können die Kunden nur auf Amazon einlösen.
Daten werden auch in Zukunft ganz oben auf dem Menüplan der Plattformen stehen
Mark Zuckerberg zieht mit Facebook Shops nach, will Amazon Konkurrenz machen. Seine Nutzer können damit direkt auf der Plattform shoppen, ohne zur Website des Händlers wechseln zu müssen. Ärgerlich für Plattformen wie Zalando und Amazon, auch wenn ihre Infrastruktur deutlich besser ausgebaut ist. Auf der anderen Seite mischt Amazon auch immer stärker mit im Werbegeschäft und knabbert hier an der Marktmacht von Facebook. Das Ringen der Platzhirsche dauert also noch an.
Nicht wenige Analysten setzen große Stücke auf Delivery Hero. Der Lieferdienst sollte insbesondere dank Corona seinen Umsatz gesteigert haben. Aktuell beläuft sich die Marktkapitalisierung auf rund das Dreifache von Wirecard. Ja, der Umsatz stieg bereits vor Corona lässig um 50 Prozent pro anno. Corona gab da nochmal einen Push. Doch der Cashflow ist tiefrot: -459 Mio. EUR für die letzten 12 Monate. Zusätzliches Wachstumspotenzial soll ab sofort auch durch Lebensmittellieferungen aus dem Supermarkt generiert werden. Das Geschäftsmodell ist sehr kapitalintensiv. Für 2023 peilt das Management die ersten Gewinne an.
Während Tesla konkrete Pläne für den Bau eines neuen Werkes im texanischen Landkreis Travis County vorgelegt hat, kursieren Gerüchte, nach denen Daimler 2.000 Arbeitsplätze streichen will. In welcher Abteilung? Ausgerechnet in der IT. Hardware, Netzwerke und Kundenservice sollen auf verschlankt und effizienter werden. Teslas neue Fabrik wird derweil aller Voraussicht nach 5.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Die insgesamt nun vierte Tesla-Autofabrik erscheint dringend nötig angesichts des kommenden Model Y und des Cybertrucks.
Der Autovermieter Hertz hat seinen Versuch einer Kapitalerhöhung zurückgezogen, begibt sich nun auf die Suche nach einem Insolvenzkredit in Höhe von 1 Mrd. USD.
Die Flugbranche steht weltweit unter Druck
Mexikos wichtigste Fluggesellschaft, Aeromexico, sah sich am Freitag gezwungen zu dementieren, dass sie ein Umstrukturierungsverfahren nach Kapitel 11 des Konkursgesetzes der Vereinigten Staaten einleiten werde. Entsprechende Mutmaßungen waren zuvor in der meistgelesenen mexikanischen Finanzzeitung „El Financiero“ formuliert worden.
In ihrer Pressemitteilung verkündete das Management, nach Möglichkeiten zu suchen, seine kurz- und mittelfristigen finanziellen Verpflichtungen umzustrukturieren. Die Nerven der Investoren konnten jedoch nicht beruhigt werden. Die Aktie von Aeromexico beendete den Freitag mit einem Minus von 4,5 Prozent. In den letzten 12 Monaten hat sie 60 Prozent verloren. Allein der Blick auf die Bilanz schockiert. Der Verschuldungsgrad liegt für das letzte Quartal bei 13,23 und das Current Ratio bei nur 0,44. Der Umsatz fiel im letzten Quartal um fast 14 Prozent. Die Eigenkapitalrendite ist negativ. Auch alle anderen Profitabilitätskennzahlen zeigen auf „Stopp“.
In Europa landete Alitalia im Visier der EU-Kontrollbehörden, die untersuchen, ob gezahlte Corona-Hilfen auch wirklich zur Überwindung der Krise genutzt wurden. Alitalia befindet sich seit Mai 2017 bereits in Konkursverwaltung. Eine absolute Ausnahme, da es im italienischen Konkursrecht gängige Praxis ist, ein Unternehmen nach spätestens einem Jahr zu liquidieren, wenn kein neuer Käufer gefunden oder kein Sanierungsplan vereinbart werden konnte. Am 18. März 2020 beschloss die italienische Regierung die Verstaatlichung von Alitalia. Kosten sofort: 600 Mio. EUR. Langfristig: 3 Mrd. EUR.
Ermittler der EU-Behörden haben nunmehr eine lange Reihe von Ungereimtheiten aufgezeigt. Zu den Hauptproblemen gehören die genaue Art von zwei noch laufenden „Überbrückungskrediten“ in Höhe von insgesamt 1,3 Mrd. EUR sowie die außergewöhnlich lange Zeit, die in der Konkursverwaltung verbracht worden ist, ohne dass ernsthaft versucht wurde, das Unternehmen zu verkaufen oder umzustrukturieren. Die italienischen Regierung muss nun bis zum 1. September 2020 einen neuen Sanierungsplan vorlegen.
Von Agenten und Prinzipalen
Nicht zuletzt das Beispiel Alitalia zeigt uns Anlegern, wie wichtig es ist, dem Management auf die Finger zu schauen. Risiken ergeben sich für uns oft daraus, dass die Interessen der Führungskräfte nicht mit unseren übereinstimmen.
Aktionäre wie Manager freuen sich, wenn die Aktie steigt. Doch wenn Manager die Wahl haben, ob sie den Aktienwert oder ihr eigenes Vermögen steigern, wird sich manch einer nicht für die Aktien entscheiden.
Eine wichtige Rolle spielt hier der Principal-Agent-Konflikt, d.h. die Befürchtung, dass die angestellten Agenten, die Manager des Unternehmens, im Zeitablauf die Interessen der Principals, der Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens, vergessen und sogar aktiv konterkarieren. Die konkrete Gefahr besteht darin, dass die Manager über sehr viel bessere Möglichkeiten verfügen, die Zukunft des Unternehmens zu beeinflussen, und diese Macht schließlich missbrauchen.
Viele Manager glauben, dass sie im Geschäft sind, um Geld zu verdienen – wovon auch Aktionäre profitieren würden. Nicht selten jedoch ist dies ein Trugbild. Geld ist nicht alles, auch nicht für CEOs und Vorstände. Attraktiv erscheint es auch, schicke neue Produkte herzustellen, Arbeitsplätze zu schaffen, eine Branche umzukrempeln, den eigenen Ruhm zu mehren oder einfach nur Gesprächsstoff für das nächste Dinner zu sammeln.
Manch einer möchte auch schlicht und einfach nur den konkurrierenden Managern zeigen, welch toller Hecht er ist. Es gibt so viele andere Arten als den schnöden Mammon, sich als Führungskraft Befriedigung zu verschaffen. Jedoch leiden unter den meisten von ihnen die Eigentümer des Unternehmens, da auf diesen Wegen der Unternehmenswert nicht gesteigert wird.
Der Principal-Agent-Konflikt besteht zu jeder Zeit. Und uns Anlegern obliegt es, ihn niemals aus dem Blick zu verlieren. Bis zu einem gewissen Grad müssen wir das Management misstrauisch bewerten. Wie aggressiv Sie letztendlich analysieren, ist sicherlich auch eine Frage Ihres individuellen Charakters und liegt ganz bei Ihnen.
Keine Kosten. Kein Risiko. Keine Abofalle.
Auf gute Investments!
Prof. Dr. Max Otte