Die Rallye ums Gas
Bau von Nord Stream 2 ist abgeschlossen
Am Nord Stream 2-Projekt hängt nicht nur Gazprom, auch etliche westeuropäische Firmen sind involviert. So zum Beispiel E.ON, Shell und die österreichische OMV. Mittlerweile ist die über 1.200 Kilometer lange Ostseepipeline fertiggestellt. Im September wurden das letzte noch fehlende Rohrsegment 40 Kilometer östlich vor Rügen auf dem Meeresboden platziert und anschließend verschweißt. Damit ist das 10 Mrd. EUR schwere Projekt bautechnisch abgeschlossen. In der Folge wurde die Pipeline für den Betrieb vorbereitet und getestet.
Zunächst wurde ein durchfahrender Reinigungsroboter eingesetzt, um mögliche Reibungswiderstände zu eliminieren. Im Anschluss wurde die Pipeline mit einem technischen Gas gefüllt, um Druck- und Dichtigkeitstests gemäß den regulatorischen Vorgaben, unter anderem von der EU, zu entsprechen. Diese letzten Tests wurden nach Angaben des Betreibers abgeschlossen. Gazprom verkündete am 18.10.2021, dass Nord Stream 2 technisch betriebsbereit sei. Damit kommt das Unternehmen seinem erklärten Ziel ein Stück näher, noch in diesem Jahr mehr als fünf Mrd. Kubikmeter Erdgas durch die neue Pipeline nach Europa liefern zu können.
Letzte formale Hürden vor Betriebsstart
Neben letzten technischen Zertifizierungen beziehungsweise Ratifizierungen durch die deutschen Behörden ist eine juristische Frage auf europäischer Ebene noch nicht geklärt: Die Gasmarktrichtlinie der EU besagt, dass ein Unternehmen nicht gleichzeitig Pipelinebetreiber und Lieferant des transportierten Erdgases sein darf. Aktuell ist die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG eine 100-prozentige Tochter von Gazprom. Der russische Erdgaskonzern muss seine Tochtergesellschaft der EU-Richtlinie zufolge aber nicht veräußern. Es reicht, sie strukturell außerhalb der eigenen Kontrollmöglichkeiten zu positionieren.
Eine recht weiche Formulierung. Die Pipelinetochter hat jedenfalls bereits bei der Bundesnetzagentur eine Zertifizierung als unabhängiger Betreiber beantragt. Außerdem besagt die EU-Richtlinie, dass Gazprom anderen Unternehmen den Zugang zu den Pipelinekapazitäten gewähren muss. Zumindest in der Theorie, denn der Staatskonzern in Russland hat dort das Monopol auf Erdgasexporte. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch diese letzten formaljuristischen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, nachdem sogar die großen transkontinentalen politischen Hürden überwunden sind.
Ein offizieller Starttermin für den Betrieb der neuen Ostseepipeline ist also noch offen. Die aktuellen Engpässe und die damit steigende Gasnachfrage spielt dem russischen Konzern aber dabei stark in die Hände. Die Internationale Energieagentur (IEA) hatte Russland kürzlich aufgefordert, mehr Erdgas nach Europa zu liefern, um dort die aktuelle Knappheit und die damit einhergehende Preissteigerung abzufedern. Diesen Ball nimmt die russische Regierung natürlich gerne auf hinsichtlich der noch laufenden juristischen Auseinandersetzungen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat erst kürzlich in Aussicht gestellt, dass die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 den unter Druck stehenden Gasmarkt entspannen würde. Durch die Pipeline sollen jährlich 55 Mrd. Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland und weiteren Ländern in Europa geliefert werden. Damit können nach Angaben der Betreibergesellschaft 26 Mio. Haushalte versorgt werden.
Riesenpotenziale – neben Nord Stream 2
Unabhängig von der aktuellen Lage in Europa und den letzten Verzögerungen des Betriebsstarts von Nord Stream 2 ist Gazprom mehr als gut aufgestellt für die Zukunft. Der chinesische Markt wird perspektivisch ein Vielfaches des Gasbedarfs erreichen verglichen mit Deutschland. Schon jetzt ist der Bedarf in China 3,5-mal so hoch wie in Deutschland. Bis 2035 soll sich der Gasbedarf nochmals in etwa verdoppeln. Spätestens 2030 will China 20 % seines Energiebedarfs über die bestehende Gazprom-Pipeline „Power of Siberia“ abdecken. Und der Bau einer weiteren Pipeline durch die Mongolei ist bereits geplant.
Neben dem großen Nachfragepotenzial von China hat Gazprom ein weiteres interessantes Geschäftsfeld: Die Heliumproduktion. Die vielfältigen industriellen Einsatzzwecke des Edelgases machen es zu einem gefragten Gut. Helium wird weltweit nur von wenigen Ländern produziert. Führend sind die USA, welche auch die größten Reserven besitzen. An zweiter Stelle steht Algerien und auf Platz 3 Russland. So der aktuelle Stand, doch die russische Regierung hat erst Ende September verkündet, diesen Bereich massiv (die Kapazitäten sollen sich verdreizehnfachen) ausbauen zu wollen.
Wachstumstreiber ohne sichtbares Ende
Unabhängig von den verschiedenen hoch interessanten Zukunftsaussichten des Unternehmens haben die steigenden Öl- und Gaspreise seit Jahresbeginn auch den Kurs der Aktie von Gazprom steigen lassen. Im letzten Herbst hatte die Aktie von Gazprom noch ein Mehrjahrestief bei 3,22 EUR. Seitdem konnte sich der Kurs mehr als verdoppeln. Und der aktuelle Kurs von 8,91 EUR (Stand 20.10.2021) stellt dabei wohl nicht das Ende der Fahnenstange dar, so wie sich der Energiemarkt aktuell entwickelt.
In jedem Fall stehen die Zeichen bei Gazprom klar auf Aufschwung. Der Konzernumsatz dürfte sich 2021 auf ca. 36 Mrd. USD, nach etwa 20 Mrd. USD im letzten Jahr, erhöhen. Diese Entwicklung ist natürlich auch aus Anlegersicht überaus interessant. Mit den richtigen Energie- und Rohstoffunternehmen ist man als Investor in der kommenden Phase strategisch sicherlich gut aufgestellt. Wir behalten die aktuellen Entwicklungen am Markt und bei Gazprom im Auge und bleiben für Sie am Ball.
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